Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands

Der vordere Kreuzbandriss (VKB-Ruptur) ist eine der häufigsten und schwerwiegendsten Bandverletzungen des Kniegelenks, der vor allem durch ein Verdrehtrauma bei Ballsportarten auftritt. Je nach Art des Risses, spezifischen Begleitverletzungen und individuellem Patientenprofil sind grundsätzlich drei verschiedene Behandlungsmethoden möglich: der Ersatz des vorderen Kreuzbands durch eine autologe (körpereigene) Sehne, die Naht des vorderen Kreuzbands oder die konservative Therapie der Verletzung.

Wann sollte welche Therapie erfolgen?

Das wichtigste Kriterium für eine operative Versorgung der vorderen Kreuzbandruptur ist ein subjektives Instabilitätsgefühl des Patienten mit deutlicher Unsicherheit bei körperlicher Aktivität. Ist das Kniegelenk dauerhaft instabil, können Folgeverletzungen an Meniskus und Gelenkknorpel entstehen. Diese wiederum führen zu einem deutlich beschleunigten Verschleiß des Kniegelenks. Eine direkte Naht des vorderen Kreuzbands ist nur in seltenen Fällen indiziert. Ob die Kreuzband-Naht erfolgreich ist, hängt von der genauen Rupturform und vor allem vom Aktivitätsprofil des Patienten ab. Verschiedene Studien bescheinigen jungen und aktiven Patienten nach der Operation ein erhöhtes Risiko für einen erneuten Riss des vorderen Kreuzbands.

Die häufigste operative Versorgungsform der vorderen Kreuzbandruptur ist der Ersatz mit Hilfe einer körpereigenen Sehne. Wenn der Patient kein Instabilitätsgefühl hat, wenig aktiv ist und keine weiteren Verletzungen wie Meniskusriss und Knorpelschaden vorliegen, kann auch eine konservative Therapie möglich sein. Wichtig ist hier eine engmaschige Kontrolle der Stabilität des Kniegelenks durch einen spezialisierten Facharzt.

Wie verläuft der Eingriff?

Die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands wird arthroskopisch durchgeführt. Der operative Eingriff dauert je nach Schweregrad der Begleitverletzungen (Menisken, Knorpel, andere Bandstrukturen) etwa 30 bis 90 Minuten. Die Operation ist sowohl in Spinalanästhesie als auch in Vollnarkose möglich. Unmittelbar vor der Operation erfolgt eine Narkoseuntersuchung, bei der die genaue Instabilität des Kniegelenks bei vollständig relaxierter (erschlaffter) Muskulatur analysiert wird.

Zu Beginn der Operation wird zunächst eine diagnostische Arthroskopie des Kniegelenks durchgeführt. Hierbei werden alle Strukturen im Gelenk analysiert und nach möglichen Begleitverletzungen untersucht. Falls hier weitere Verletzungen festgestellt werden, können diese in der Regel sofort mitbehandelt werden (zum Beispiel die Naht eines Meniskusrisses).

Zur Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands wird eine körpereigene Sehne verwendet. Am häufigsten verwendet wird die Semitendinosussehne/Gracilissehne, die vollständig entnommen wird, oder ein Anteil der Quadrizeps- oder Patellarsehne. Die Sehnenentnahme kann in der Regel ebenfalls in minimal-invasiver Technik über relativ kleine Hautschnitte erfolgen.

Zunächst wird im Oberschenkelknochen und im Schienbein im ehemaligen Ansatzbereich des vorderen Kreuzbands eine Bohrung durchgeführt. Anschließend wird die körpereigene Sehne in diesen beiden Tunneln im Knochen verankert. Die Verankerung ist mit unterschiedlichen Techniken möglich. Sehr häufig werden entweder Kippanker-Systeme („Prinzip der Verankerung des Ostereis mit Hilfe eines Bindfadens und eines Streichholzes“) oder so genannte Interferenzschrauben verwendet. Die Schrauben sind zumeist aus einem bioresorbierbaren (auflösbaren) Material, sodass sie sich nach etwa ein bis zwei Jahren aufgelöst haben sollten.

Nach der Operation

Nach einer isolierten Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands wird in der Regel eine etwa zweiwöchige Teilbelastung an Unterarmgehstützen empfohlen. In dieser Zeit eine adäquate Thromboseprophylaxe (z. B. Spritzen mit niedermolekularem Heparin) zwingend erforderlich. Im Falle einer Begleitverletzung (z. B. ein genähter Meniskusriss) kann sich die Zeit der Teilbelastung individuell verlängern.

In der Regel trägt der Patient die ersten sechs Wochen nach der Operation eine Hartrahmenorthese. Die passive Beweglichkeit des Kniegelenks sollte nach der Operation intensiv beübt werden. Hierfür ist eine CPM-Bewegungsschiene sehr hilfreich. Auch sollte die Streckfähigkeit des Knies in den ersten Wochen intensiv beübt werden. Eine fortwährende Schonhaltung des Kniegelenks in leichter Beugung ist unbedingt zu vermeiden.

Zur postoperativen Phase gehört außerdem eine intensive physiotherapeutische Behandlung, um Beweglichkeit, Muskelstatus und neuromuskuläre Steuerung des Kniegelenks wiederherzustellen.

Typische Risiken und deren Häufigkeit

  • Gesamtkomplikationsrisiko ca. 9% [Salzler M et al. AJSM 2014]
  • Bewegungseinschränkung (2-5%) [Sanders TL et al. KSSTA 2017; Hettich C et al. AJSM 2013]
  • erneute Instabilität / Lockerung (2-3% in den ersten 2 Jahren) [Samuelsen BT et al. CORR 2017]
  • Verletzung eines Nervenastes bei Entnahme der Semitendinosussehne mit vorübergehendem (46%) bzw. bleibendem Taubheitsgefühl (3,5%) [Sharaby MMF et al. KSSTA 2019]
  • vorübergehende Schmerzen an der Sehnenentnahmestelle (z.B. Patellarsehne 40-60%) [Cervellin M et al KSSTA 2012]
  • Infektion (0,5-2%) [Phegan M et al. KSSTA 2016; Offerhaus C et al. KSSTA 2018]
  • Thrombose (0,5%) [Gaskill T et al. AJSM 2015]
  • Wundheilungsstörung (0,3%) [Mohtadi N et al. Clan J Sports Med 2016]
  • Zyklops-Syndrom: Streckdefizit durch Narbengewebe am Kreuzbandtransplantat  (2%) [Pinto FG et al. Orthop J Sports Med 2017]

Generelle Prognose nach dem vorderen Kreubandersatz

Der vordere Kreuzbandersatz ist eine Operation, die sehr gute Ergebnisse erzielt. Die Langzeitprognose wird vor allem durch Begleitverletzungen wie Meniskus- und Knorpelschäden bestimmt. Sport ist in aller Regel wieder problemlos möglich. Hochleistungssport auf gleichem Niveau ist nach aktueller Studienlage in etwa 50 % der Fälle möglich.

Wie gelingt die Rückkehr in den Alltag, das Berufsleben und den Sport?

Sobald der Patient ohne Krücken laufen kann, ist Autofahren wieder möglich. Sitzende Bürotätigkeiten können bereits nach zwei bis drei Wochen wieder aufgenommen werden. Tätigkeiten mit viel Laufbelastung, jedoch ohne schwere körperliche Belastung, sind nach ca. sechs Wochen wieder möglich. Körperliche Arbeiten mit hebender und tragender Tätigkeit oder auf Gerüsten kann der Patient erst nach drei bis vier Monaten wieder durchführen. 

Bezüglich sportlicher Belastung ist der wichtigste Faktor die muskuläre Situation. Die Einheilung des Kreuzbandersatzes ist erst nach 18-24 Monaten vollständig abgeschlossen. Die volle sportliche Belastbarkeit ist jedoch bereits erreicht, wenn die Muskelfunktion adäquat wiederhergestellt ist. Dies ist nach sechs bis 12 Monaten gegeben und kann durch spezielle Tests überprüft werden.

Zahlen zum vorderen Kreuzbandersatz

  • ca. 40.000 Vordere Kreuzband-Ersatzplastiken pro Jahr in Deutschland [www.gbe-bund.de]
  • ca. 100.000 Kreuzbandersatzplastiken in den USA pro Jahr von ca. 175.000 Kreuzbandrupturen [DiBenedetto P et al. Knee Surg Relat Res 2016]
  • ca. 1.000.000 Kreuzbandrupturen weltweit pro Jahr [Lyman S et al. JBJS Am 2009]